Auszüge der Masterarbeit von Natalie Gässner
Theoretische Hintergründe zur Erinnerung und Gedächtnis
Aleida Assmann (Kulturwissenschaftlerin) behauptet, dass ein Individuum, also jedes „Ich“ ein
Teil einer Gruppierung, einem „Wir“ ist, ohne das es sonst seine wichtigsten Grundlagen nicht
besäße. Diese „Wir-Gruppen“ sind nochmals unterteilt in einzelne „Wir-Gruppen“, denen wir uns
im Laufe unseres Lebens anschließen. Von Geburt an sind Familie, Ethnie oder Nationalität festgelegt. Weitere Wir-Gruppen, zum Beispiel, unsere Interessen oder persönlichen Aktivitäten,
schließen wir uns selbstständig an. Alle „Wir-Gruppen“ begleiten das Individuum für eine
unterschiedliche Zeit im Leben und nehmen dabei einen höheren oder niedrigeren Stellenwert ein.
Durch den Wandel, den das Individuum im Laufe der Zeit durchlebt, wachsen stetig auch neue
„Wir-Gruppen“ dazu oder andere gehen verloren. Dies kann auch bei bereits festgelegten „Wir-
Gruppen“ stattfinden. Anders verhält es sich mit der Familie oder Ethnie, welche für immer an das
Individuum gebunden sind und dessen grundsätzliche Existenz sie ausmachen. Die meisten
Mitgliedschaften in solchen „Wir-Gruppen“ enden meistens mit dem Ableben, außer bei der
Familie, hier geht die Mitgliedschaft bis über den Tod hinaus und wird über Generationen hinweg
über das Generationengedächtnis weitergeführt. Andere „Wir-Gruppen“, wie Religions- oder
Kulturgemeinschaften, umfassen eine viel größere Zeit-Periode, als das Individuum miterlebt,
weshalb mehrere „Gedächtnishorizonte“, wie Assmann sie benennt, also verschiedene Gedächtnisse
aus unterschiedlichen Zeitebenen, sich im Gedächtnis des Individuums vereinen und eigene
Funktionen aufweisen Darüber hinaus beinhaltet das individuelle Gedächtnis eigene biographische
Erfahrungen und Erlebnisse, die dessen Identität ausmachen.
Das Gedächtnis
Das Gedächtnis eines Menschen ist breitgefächerter und komplexer gestrickt als es zuerst den
Anschein macht. Geprägt ist es unter anderem anderem durch verschiedene Kulturen, Nationen oder
Konfessionen, die sich über einen großen Zeitabstand gebildet haben und in denen sich ein
Individuum nur einen Bruchteil seinen Lebens aufhält.
Das Gedächtnis enthält drei Formen: das Kulturelle, das Kommunikative und das Individuelle.
Aleida und Jan Assmann erweiterten Maurice Halbwachs (französischer Soziologie; 1877-1945)
Theorie des kollektiven Gedächtnis mit dem kulturellen und kommunikativen Gedächtnis. Das
kommunikative Gedächtnis kann nur durch eine regelmäßige Interaktion und den Austausch von
Erfahrungen miteinander und das Teilen einer gemeinsamen Lebensform entstehen und gefestigt
werden. Diese muss in einem Umfeld räumlicher Nähe und einer gemeinsamen Lebensform stattfinden. Die Vergangenheit wird dabei in einem gemeinsamen Dialog vergegenwärtigt und rekonstruiert – sogenannter „memory talk“ oder „conversational remembering“.
In der Regel umfasst das Gedächtnis drei Generationen (in der Ausnahme fünf), die sich
miteinander austauschen und kommunizieren. Bei jeder neuen Generation die dazu kommt, entsteht
ein weiteres Erinnerungsprofil und es rücken somit neue Perspektiven in den Vordergrund und
andere geraten in den Hintergrund. Bei dem kommunikativen Gedächtnis, kann man auch vom
„Kurzzeitgedächtnis“ der Gesellschaft sprechen, da es charakteristisch nur einen begrenzten
Zeitrahmen aufweist, in welchem es existiert. Nach circa 80-100 Jahren löst sich ein Großteil davon auf oder verändert sich.
Im Gegensatz dazu steht das kollektive Gedächtnis. Dieses wird von außen gesteuert. Es
unterscheidet sich vom Generationen- und Familiengedächtnis mit Hilfe von symbolischen Stützen,
wie zum Beispiel Feiertagen, welche eine Erinnerung bis in die späte Zukunft hinein verfestigen
und über etliche weiteren Generationen an eine gemeinsame Erinnerung binden. Hier wird das
Gedächtnis vom Kollektiv weitergetragen und andersherum, das Gedächtnis ist ein Stabilisator für
die Gemeinschaft.
Für das kulturelle Gedächtnis werden zur Weitergabe und Speicherung des Wissens externe Medien
und Institutionen, wie zum Beispiel Museen; Denkmäler; Briefe; Denkmäler; o.ä. genutzt. Dies
sichert den Verbleib der kulturellen Identität. Dazu kann man auch Bräuche und Feste einbeziehen.
Die Bestände des kulturellen Gedächtnisses lassen sich vielseitig deuten und sind durch seine
generationenübergreifende Wirksamkeit immer wieder neu interpretierbar. Es ist nicht zwanghaft
kollektiv zu vereinheitlichen und lässt den Individuen die Freiheit das Material neu zu bestimmen.